Die Atmung überschlägt sich am Ende einer jeden Wiederholung. Die lohnenden Pausen sind zu kurz, um in den nächsten Durchgängen das Tempo halten zu können. Die folgenden Zwischenzeiten lassen Dich daran zweifeln, ob Du Zielzeiten tatsächlich erreichen kannst.
Dann erinnerst Du Dich auch noch an den letzten Wettkampf. In der Rückbetrachtung hattest Du das Gefühl, nicht „alles gegeben“ zu haben (oder nicht alles geben zu können). Im laufenden Training brichst Du schlussendlich in der letzten Wiederholung ein und beendest das Training enttäuscht. Bist Du etwa mental zu schwach? Könnte sein. Du grübelst. Dein Selbstvertrauen ist angeknackst. Was tun?
Derartige Situationen habe ich oft an mir selbst und bei anderen Athleten erlebt. Ursächlich für diese Ereignisketten sind nicht immer zu hoch angesetzte Belastungsvorgaben, Schwankungen in der Tagesform oder äußere Einflussfaktoren, wie z.B. Windböen. Die Sportwissenschaft hat längst gezeigt, dass es enorme interindividuelle Unterschiede in der mentalen Leidensfähigkeit von Ausdauersportlern gibt.
Paradebeispiel sind ostafrikanische Eliteläufer, die im 10.000 m Wettkampf eine signifikant höhere Ausschöpfung der maximalen Sauerstoffaufnahme erreichen als ähnlich starke Läufer anderer Regionen. Die Erklärung dafür, liegt nicht ausschließlich in physiologischen oder anthropometrischen Vorteilen (z.B. Laktattoleranz, Körperbau). Es existieren Hinweise dafür, dass sie hohen Belastungen mental besser standhalten. Schmerztoleranz ist ein wichtiger psychischer Erfolgsfaktor im Langstreckenlauf, der über Platzierung der Erreichen eines Zeitziels entscheiden kann.
Die gute Nachricht hierzu: Leidensfähigkeit ist erlernbar. Die Erfahrung hat mehrfach gezeigt, dass durch systematisch angewandte Strategien, die frühzeitig in Training und Wettkampf, mit entsprechend hohen Intensitäten, geübt werden, die eigene Leistung „optimaler“ abgerufen werden kann. Mit dem folgerichtigen Resultat, dass sich Trainingsqualität und Wettkampfergebnisse verbessern. Hier folgen bewährte und einfache mentale Techniken für den Umgang mit Belastungskrisen vor.
8 kognitive, naive Techniken zur mentalen Krisenbewältigung
Zwei Kernfragen lauten: 1. Mit welchen mentalen Techniken kann ich meine Aufmerksamkeit und meinen Handlungswillen in Training und Wettkampf aufrecht erhalten, so dass kein Belastungseinbruch erfolgt 2. Wie kann ich diese Techniken einüben und sie in den entscheidenden Situationen abrufen?
Mentales Training ist in der Sportpsychologie als langfristig angelegte und komplexe Trainingsmethode anzusehen, die einer regelmäßigen Übung bedarf und grundlegende Fähigkeiten voraussetzt. Dieses Gebiet ist komplex und an dieser Stelle nicht darstellbar. Vielmehr möchte ich einfache und erprobte Wege zeigen, um mithilfe von sog. kognitiven, naiven Techniken, mittelfristig mentalen Krisen Herr/in zu werden:
1. einfache Motivationstechniken / Selbstinstruktionen
Beispiel: „Auf geht’s. Nur noch 3 Runden“; Du stellst Dir vor, dass Du im Olympiaendlauf bist und zwar auf Medaillenkurs. Die Menge jubelt Dir zu: „Los jetzt“; einfache und kurze Mantras wie „Hab‘ Spaß“, „Bin groß und stark“, „Jetzt zählt’s“.
2. Beruhigungssätze
Beispiel: Dein Hauptkonkurrent zieht nach wenigen Metern schon davon. Du läufst bereits hohes Tempo. Du denkst: „Ruhig bleiben. Es sind noch 20 Runden zu laufen. Ich beobachte erst einmal die weitere Rennentwicklung. Beim letzten Rennen ist der doch eingebrochen.“
3. Informationssuche
Beispiel: Nach jedem gelaufenen Kilometer kontrollierst Du die Zwischenzeit. Du reflektierst die Situation: Wo befindet sich der Konkurrent? Wie fühle ich mich gerade? Bin ich im Zeitplan?
4. taktische Mittel
Beispiel: Du rechnest in jedem Moment mit der entscheidenden Tempobeschleunigung. Deine Devise lautet: „Jetzt an der Spitze bleiben und innen positionieren“. Oder: Du möchtest Deine Konkurrenten überraschen und läufst den langen Anstieg mit 95% Deiner Leistungsfähigkeit. Auf der Kuppe beschleunigst Du für 200 m Meter und erläufst Dir einen Abstand zur Konkurrenz. Und zwar zu einem Zeitpunkt, mit dem niemand gerechnet hat.
5. Umbewerten
Beispiel: Am Wettkampftag ist das Wetter sehr windig. Schon nach wenigen Kilometern merkst Du, dass Du Deine anvisierte Zielzeit nicht erreichen wirst. Du denkst „Zwar erreiche ich nicht die Zeitvorgabe, aber Hauptsache ich bleibe unter 35 min. Dann ist der Lauf zumindest ein guter Trainingsreiz. Nächste Woche probier ich’s einfach noch mal.“
6. Ablenken / Dissoziationen
Beispiel: Die Glieder schmerzen. Aber es sind immer noch 4 Kilometer bis zum Ziel. Du fokussierst Deine Aufmerksamkeit nicht auf den Lauf, sondern lenkst Dich gedanklich ab: „Ich freue mich schon auf das Essen beim Italiener heute Abend“ oder „Das ist aber eine schöne Landschaft hier!“
7. Abreaktion
Beispiel: „Jetzt reicht’s mir aber. Jedes Mal rennt der mir in die Fersen. Den Hans muss ich einfach schlagen“ oder „Nun habe ich wochenlang sehr hart trainiert. Jetzt zeig’ ich denen Mal, was ich drauf habe. Wann sonst?“.
8. Resignation / keine Bewältigung
Beispiel: „Ach, Mensch. Das hat doch alles keinen Zweck mehr. Ich laufe jetzt einfach nur noch locker ins Ziel“.
In welcher Situation sich die Techniken eignen
Lautet das Ziel „Einhalten eines taktischen Plans“ (z.B. Erreichen einer Zielzeit), so eignet sich besonders die Technik „Informationssuche“ und „taktische Mittel“. Liegt das Wettkampfziel darin, einen persönlichen Gegner in Schach zu halten, erhöhen die Mittel „Abreaktion“ und „Umbewertung“ die Erfolgsaussichten. Physiologische Probleme lassen sich am besten mit der Technik „Informationssuche“ mental bewältigen.
Grundsätzlich hängt die Wirksamkeit der Techniken, davon ab inwieweit die eintretende Situation von Dir selbst kontrollierbar ist. Liegt die Kontrolle bei Dir, als Athlet, z.B. beim Versuch eine neue Bestzeit zu erreichen, eignen sich besonders die Techniken „taktische Mittel“, „Selbstinstruktion“ und „Informationssuche“.
Hast Du auf die Situation wenig Einfluss, bspw. wenn Du spontan Wadenkrämpfe bekommst oder ein Hitzetag eine neue Bestleistung verhindert, dann bewährt sich die Technik „Umbewertung“ besonders. Dem vorausgesetzt werden müssen realistische Zielsetzungen und eine hohe Ausgangsmotivation mit dem nötigen Willen zur Leistung.
Den mentalen Krisen geht oft ein starkes Unwohlsein voraus, das sich durch das Bewegen an der persönlichen Leistungsgrenze immer einstellt. Mit diesem Zustand umzugehen, kannst Du schon im Training üben. Im folgenden Beispiel steht ein typisches Intervalltraining auf dem Programm; 5x 1.000 m im aktuellen 5 km-Wettkampftempo mit 2 Minuten Trappause – in der Regel eine sehr fordernde Einheit. Du trainierst alleine. Diese Schritte kannst Du einüben:
Stimme Dich rechtzeitig auf das Training ein
Gehe unmittelbar vor dem Training, noch vor der Anfahrt zum Trainingsgelände, in Dich und beantworten folgende Fragen: Welche Bedeutung hat die Trainingseinheit für mich auf meinem Weg zum Ziel? Welcher Anstrengung bedarf es, die gestellte Aufgabe zu lösen? Wie wird es sich anfühlen, wenn ich mich auf dem Höhepunkt der Anstrengung befinde? In welcher Qualität habe ich die zurückliegenden Einheiten bewältigt?
Lenke Deine Aufmerksamkeit voll und ganz auf die anstehende Einheit, auch wenn Du Dich derzeit im beruflichen und/oder privaten Stress befindest. Die nächsten 60 bis 90 Minuten gehören dem Training ganz alleine. Schalte dazu auch Dein Mobiltelefon und andere Störungsquellen aus.
Bereite Mantras vor
Schreibe vor dem Training ein Mantra in die Handfläche, das Du Dir anschauen kannst, wenn die Belastung sehr hart wird. Dieses kannst Du eigenständig gestalten, z.B. „Jetzt zählt’s“, „Quäl Dich“ oder einfach der Name des Lebenspartners (?). Du weißt selbst am besten, was Dich anspornt.
Eröffne das Training mit Ritualen und Routinen
Führe vor dem Training ein Ritual ein. Bspw. trinke noch einen Schluck von Deinem Lieblingssaft o.ä. oder schnüre die Laufschuhe besonders sorgfältig. Nutze Rituale zur Einstimmung auf das Training. Bringe Dich in eine Art "kriegerischer" Stimmung. Wärme Dich auf der Laufbahn gewohnheitsmäßig im lockeren Tempo auf und schließe die Phase mit 4 bis 5 Steigerungsläufen ab. Atme nochmals 2 bis 3 Minuten durch, dann gehst Du zur Startlinie. Jetzt zählt’s.
Richte Deine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche
Lenke Deinen Fokus auf jede einzelne Wiederholung. Auch wenn die Erste schon schmerzt. Du hast zwischen den Durchgängen eine lohnende Pause, die oft Wunder wirkt. Gehe die ersten Meter zügig an und kontrolliere alle 200m das Tempo (Informationssuche).
Wenn Du Dich im ersten Durchgang knapp über der Zielzeit befindest, heißt es Ruhe bewahren. Meist sind Energiebereitstellung und Nervensystem noch nicht vollständig auf die Beanspruchung eingestellt (Beruhigung). Du wirst den 2. Durchgang mit großer Wahrscheinlichkeit zügiger absolvieren können.
Trainiere das „Verschieben“ von Aufmerksamkeit
Richte am Anfang einer jeden Wiederholungen die Aufmerksamkeit bewusst auf einen Teilaspekt Deines Körpers, wie Atmung, Schrittfrequenz, Kniehub, Körperspannung etc. Sobald die Anstrengung stark zunimmt, wirst Du spüren, wie sich Aufmerksamkeit hin zum reinen Anstrengungsempfinden verlagert.
Jetzt kommt Dein Mantra zum Einsatz. Schau‘ auf die Handinnenfläche. Du weißt: Nun kommt die Zeit, in der der entscheidende Trainingsreiz gesetzt wird. „Quäl dich“, „Groß und stark“, „lang und dynamisch“ (Selbstinstruktion). Oder stell' Dir vor, wie Du an einem imaginären Seilzug hängst, der Dich Meter für Meter nach vorne zieht.
Es besteht gar nicht die Möglichkeit abzubrechen. Alles läuft sehr leicht. Und denke daran: die intensiven Anteile des Trainings machen max. 10% der Gesamttrainingsbelastung aus. Außerdem trainiert die Konkurrenz doch auch hart. Was sollen Deine Kollegen/Bekannten denken, denen Du vollmundig erzählt hast, in 3 Wochen eine neue Bestzeit zu laufen? Bleiben Dir noch allzu viele Trainingsjahre bis Du die maximale Leistungsfähigkeit erreichen kannst?
Spiele Gedankentheater
Im nächsten Schritt versetzt Du Dich während der Schmerzphase in eine Wettkampfsituation (Imagination). „So und noch etwas schlimmer wird es sich anfühlen. Das muss ich aushalten können“, „Jetzt kann ich das üben – das kann sonst nicht simulieren“. Stelle Dir vor, wie Du auf Bestzeitkurs bist. Die Zuschauermassen jubeln Dir zu. Deiner Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Bewerte ehrlich und passe Dich der Situation an
Stellst Du im Training fest, dass Du die Zielzeiten nicht erreichen kannst, und die Ursachen dafür in äußeren Umständen (Wind, Temperatur, Platzbeschaffenheit u.ä.) liegen. Hier helfen Umbewertungen: Der Wind ist für meine Zielzeit zu stark, ich versuche dennoch einen ähnlichen Anstrengungsgrad zu erreichen. Letzten Endes ist für den Trainingserfolg mein Krafteinsatz entscheidend und nicht die erreichte Zeit.
Beruhigung: Meine Konkurrenten müssen unter ähnlichen Bedingungen trainieren. Ziehe Dein Training bestmöglich durch. Abreaktion: Du „verfluchst“ den Gegenwind. Dann zeige, dass Du Dich nicht in die Knie zwingen lässt. Ablenkung: Wenn alle mentalen Strick reißen, dann versuche die Einheit irgendwie zu beenden (wenn Du keine ernsten körperlichen Probleme hast). Hierbei hilft Ablenkung. „Wie wohl der Tatort heute Abend sein wird?“)
Es hat sich tatsächlich bewährt, für verschiedene Situationen, ein eigenes „mentales“ Maßnahmenpaket zu schnüren und einzuüben. Unter Anleitung eines geschulten Trainers fällt das immer leichter. Aber auch wenn Du alleine trainierst, lohnt es sich. Hier liegt bei jedem Läufer eine große Leistungsreserve, ohne einen einzigen zusätzlichen Kilometer dafür laufen zu müssen.
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