Samstag, 26. Juni 2010

Krafttraining und Laufleistung: Was denn nun? – leistungsförderlich oder kontraproduktiv?

Das Thema wird in Läufer- und Trainerkreisen zunehmend stark diskutiert, denn Verunsicherung hat sich breit gemacht. Die einen schwören auf die Wirkungsweisen von Krafttraining, die anderen lehnen es aus mehr oder weniger plausiblen Gründen ab.

Ich denke, dass gewichtige Gründe für den Einsatz von Krafttraining im Lauftraining sprechen. Denn: Krafttraining ist nicht gleich Krafttraining. Die leistungssteigernde Wirkung hängt - wie die Gestaltung des Lauftrainings auch - von der Konfiguration der Belastungsnormative sowie der Periodisierung ab. Erst dadurch können unterschiedliche Zielsetzungen erfolgreich angesteuert werden.

Das ist einigen Sportlern und auch Trainern noch nicht bewusst. Deshalb möchte ich in diesem Beitrag die Zusammenfassung eines Aufsatzes darstellen, den ich vor ca. 2 Jahren verfasst habe. Die Erkenntnisse sind nicht veraltet. Die vollständige Version und Literaturangaben sende ich Euch gerne zu. Rückfragen sind immer erwünscht. Insbesondere von denjenigen, denen die Zusammenfassung zu wissenschaftlich daherkommt:  

"Die Wettkampfleistung wird im Langstreckenlauf durch vielfältige Faktoren determiniert. Im internationalen wissenschaftlichen Diskurs werden als wichtigste physiologische Determinanten genannt: maximale (relative) Sauerstoffaufnahme (VO2max), Geschwindigkeiten an ausgewählten Laktatschwellen (LS bzw. LT), Laufökonomie (RE) und anaerobe bzw. neuromuskuläre Faktoren (sog. „Muscle Power Factors“). Die Bedeutung der einzelnen und in Wechselwirkung stehenden Leistungsfaktoren ist abhängig von der Wettkampfstreckenlänge.

Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit ergänzen viele Langstreckenläufer den Trainingsplan noch eher sporadisch mit Krafttraining. Im Großen und Ganzen wird die Wirkung von Krafttraining in dieser Disziplin unterschätzt. Einige Athleten befürchten durch begleitendes Krafttraining zwingend an Körpermasse zunehmen zu müssen (durch Hypertrophie). Das Krafttraining wird deshalb wenig zielorientiert und systematisch sowie i.d.R. nur kurzzeitig eingesetzt.

Häufige Trainingsziele sind die Steigerung der Belastungsverträglichkeit (Verletzungsprophylaxe), Optimierung der Lauftechnik (Laufökonomie), Verbesserung der Schnellkraft (Erhöhung des taktischen Potenzials durch Sprintvermögen und Tempowechselfähigkeit) und Kraftausdauer (anaerobe Kapazität). Soll Krafttraining einen direkten Beitrag Verbesserung der Laufleistung leisten, dann müssen Adaptationen in zumindest einer der o.g. physiologisch relevanten Determinanten nachzuweisen sein.

Bei der Anwendung und Beschreibung von Krafttrainingsregimen sind Belastungsnormative (klassische und „neue“ Deskriptoren) und Kontextfaktoren (Trainings~, Personen~) zu berücksichtigen. Im Rahmen wissenschaftlicher Studien wird das Dokumentieren der Untersuchungsbedingungen zwingend, um die Ergebnisse weitestgehend reproduzierbar zu machen.

Es wird aus theoretischen Überlegungen, wissenschaftlichen Belegen und Erfahrungswerten nachvollziehbar, dass die Wirkungsweise von Krafttraining von der eingesetzten Methode, Trainingsstatus, Anwendungsdauer, Trainingsfrequenz, Art der Trainingsintegration (additiv oder substitutiv zum Ausdauertraining, blockweise getrennt, gleichzeitig) etc. abhängt.

In der Trainingspraxis des Langstreckenläufers haben sich drei Trainingsmethoden etabliert. Das kraftausdauerorientierte Circuit- oder Kreistraining, klassisches Gerätetraining (vornehmlich zur Schulung allgemeiner und spezieller Kraftfähigkeiten durch Verbesserung der intra- und intermuskulärer Koordination und Kraftbildungsgeschwindigkeit) sowie plyometrisches Krafttraining (das sind semispezifische und spezifische Sprung- und Sprintübungen mit und ohne Zusatzlasten zur Optimierung der Muskelarbeit im Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus).

Die ausgewerteten Forschungsergebnisse sind im Kontext des jeweilig verwendeten Untersuchungsdesigns zu deuten. Im Hinblick auf die Entwicklung der maximalen Sauerstoffaufnahme scheint mittelfristig (6 bis 14 Wochen), parallel zum Ausdauertraining durchgeführtes Krafttraining, weder einen positiven noch zuwiderlaufenden Einfluss auf die Ausdauerleistungsfähigkeit auszuüben.

Lediglich untrainierte Probanden (< 40 mlkg-1min-1) konnten nach Absolvierung eines mehrwöchigen kraftausdauerorientierten Zirkeltrainings bzw. traditionellen Maschinentrainings (Belastungen um das 6-RM) die rel. VO2max anheben. Die Maximalkraftentwicklung wird durch zeitgleiches Ausdauertraining (= innerhalb der gleichen Trainingsperiode) kurz- und mittelfristig nicht bedeutsam gestört.

Ausgewählte Laktatschwellen wurden nur bei Untrainierten durch kraftausdauerorientiertes Krafttraining nach rechts verschoben, was einer Leistungssteigerung gleich kommt. Es spricht einiges dafür, dass für jene Untersuchungsgruppe schon unspezifische Trainingsreize wirksam werden. Trainierte zeigen keine Veränderung in der Laktatkinetik auf. Die Anzahl vorliegender Studien ist allerdings sehr gering.

Die Laufökonomie (RE) wird durch insbesondere plyometrisches und traditionelles Maschinentraining - im hohen bis sehr hohen Intensitätsbereich - verbessert. Abhängig vom Untersuchungsdesign werden bei Trainierten und Untrainierten Verbesserungen von 2% bis 8,1% festgestellt. Die Wettkampfleistung konnte damit direkt – ohne Veränderungen von VO2max und LT – um 3% bis 4% gesteigert werden.

Die Adaptationen finden hauptsächlich auf neuromuskulärer Ebene im DVZ statt. Die täglichen intra-individuellen Schwankungen der RE können jedoch bei 1,3% bis 2,6% liegen. Die Bewegung des Laufens stellt mit der unmittelbaren Kopplung exzentrischer und konzentrischer Muskelarbeit eine Besonderheit dar. 25% bis 40% der Vortriebskraft werden aus der gespeicherten Energie der exzentrischen Arbeitsphase bereitgestellt.

Neben der Verbesserung der mechanischen Effizienz im DVZ führt spezifisches Krafttraining zur Anhebung der Maximalkraft, Verbesserung der Kraftbildungsgeschwindigkeit, Reduzierung der Bodenkontaktzeiten und Verbesserung der Sprintleistung über 30 m. Als zusätzliche Erklärungsgrößen werden veränderte metabolische Effizienzkriterien und Veränderungen der Muskelfaserstruktur herangezogen.

Anaerobe und neuromuskuläre Faktoren gelten seit den jüngeren wissenschaftlichen Veröffentlichungen – insbesondere bei (Hoch-)Trainierten – als bessere Prädiktorvariable der Laufleistung gegenüber der VO2max oder Laktatschwellen. Die Fähigkeit unter hoher glykolytischer und oxidativer Belastung (mit hohen intramuskulären H+-Konzentrationen) schnell, wiederholt und andauernd Vortriebskraftstöße zu generieren, stellt eine wichtige Leistungsvariable dar.

Diese Anforderungsfaktoren werden als sog. „Muscle Power Factors“ (MPF) zusammengefasst und erklären in Teilen die unterschiedlichen Laufleistungen bei Personen mit identischen aeroben Voraussetzungen. Ausgewählte neuromuskuläre Faktoren lassen sich besonders durch plyometrisches Krafttraining verbessern (Sprintzeiten über 20 m, Sprungweiten im 5-Jump Test, Verringerung der Bodenkontaktzeiten im DVZ).

Zwar korrelieren diese Größen nicht direkt mit der Laufleistung, jedoch mit der Geschwindigkeit im MART (Maximal Anaerobic Running Test), der als zuverlässiger Indikator für MPF gilt. VMART korreliert dagegen mit der Laufleistung im 5 km Wettkampf, bei Trainierten gar stärker als die VO2max. Dass die VMART weitestgehend unabhängig von aeroben Faktoren ist, zeigt die sehr geringe und ohnedies nicht signifikante Korrelation von VMART und VO2max.

Die VO2max bleibt dabei jedoch unbestritten eine sehr gute Prädiktorvariable für die Laufleistung. Dass die VMART wiederum von neuromuskulären Faktoren abhängig ist, zeigt die hohe Korrelation mit der Geschwindigkeit im 20 m-Sprinttest. So wie die VO2max die Obergrenze der aeroben Leistungsfähigkeit darstellt, kann die VMART als Obergrenze für die Krafterzeugung oberhalb der VO2max im Langstreckenlauf herangezogen werden.

Krafttraining führt im Langstreckenlauf zur Verbesserung der (Determinanten der) Laufleistung. Die Wirkung ist in erster Linie von den Belastungsnormativen und Kontextfaktoren abhängig. Die günstigsten Adaptationen finden auf neuromuskulärer Ebene, nach Anwendung plyometrischer Trainingsmethoden und traditioneller, hochintensiver Maschinen- und Hantelübungen, auch bei (Hoch-) Trainierten, statt. Diese betreffen vornehmlich die Laufökonomie und anaerobe sowie neuromuskuläre Faktoren, ohne Beeinträchtigung von VO2max und LT."

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