Im Kern geht es um Denkfehler, die uns mehr oder weniger regelmäßig unterlaufen. Ursache sei die archaische Funktion unseres Gehirns, das immer noch für ein Leben als Jäger und Sammler optimiert sei. In den heutigen komplexen Gesellschaftssystemen führe das zu systematischen Fehlschlüssen in Beruf und Alltag - insofern diese Prämisse nicht selbst ein Denkfehler ist.
Ungeachtet der Güte von Dobellis Theorie, liefert das Buch zahlreiche Denkanstöße, die dabei Helfen das eigene Handeln zu reflektieren. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen 5 ausgewählte Denkfallen und vernunftwidrige Handlungen vorzustellen, die bei der Planung, Durchführung und Auswertung des sportlichen Lauftrainings vorkommen. Vielleicht erkennt ihr Euch in der einen oder anderen Situation wieder. Mit dem Erkenntnisgewinn lässt sich die nächste Laufsaison bestimmt noch erfolgreicher gestalten.
1. Sunk Cost Fallacy
Gemeint ist hierbei jenes Phänomen, bei welchem Handlungen fortgeführt werden, weil ihnen eine bedeutungsvolle Investition (Geld, Zeit) vorausgegangen ist, obwohl die Entscheidung dazu falsch oder zumindest irrational ist. So wird eine langjährige Partnerschaft zwischen Mann und Frau doch fortgeführt, weil sie viel Zeit und Energie gekostet hat. Und das obwohl alle "objektiven" Zeichen auf eine Trennung als vernünftige Lösung hindeuten - bspw. nach mehreren Seitensprüngen eines Partners.
Ein anderes Beispiel: Der dicke und teure Schmöker wird zu Ende gelesen, obwohl der Inhalt langweilig und uninteressant ist. Er ist schließlich teuer und/oder das Geschenk eines guten Freundes. Rational wäre es, eine alternative und lohnende Handlung zu beginnen. Die "Kosten" sind unwiderruflich angefallen.
Auf das Lauftraining übertragen, fallen mir folgende Beispiele ein: Die teuren High-End-Laufschuhe werden weiter verwendet, obwohl sie ein Fehlkauf waren und sogar orthopädische Beeinträchtigungen provozieren. Der von einem lizenzierten Lauftrainer erstellte Trainingsplan wird sklavisch fortgeführt, obwohl dieser auch nach 12 Wochen zu keiner Leistungsverbesserung führt. Vielleicht ist das Gegenteil der Fall: Der Plan überfordert den Sportler chronisch und führt zu Erkrankungen, weil das Immunsystem geschwächt wird.
2. Verlustaversion
Verluste wiegen emotional doppelt so schwer wie ein Gewinn der gleichen Größe. Die Aussicht 1.000,- EUR zu verlieren wird als schmerzhafter empfunden als die Aussicht auf einen Bonus von 1.000,- EUR. Das ist in zahlreichen psychologischen Experimenten und Versuchsvarianten verifiziert worden.
Das Phänomen kommt ebenso im Laufsport vor: Zum Beispiel wird die Umstellung des Trainingsaufbaus gemieden, weil Trainer und Athlet kein Risiko bei der Entwicklung der Leistungsfähigkeit eingehen wollen. Frei nach der Redewendung "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach". Der gewöhnliche Trainingsaufbau hat sich schließlich über die Jahre hinweg bewährt. Dabei zeigen viele Gegenbeispiele, dass eine Trainingsumstellung der Leistungsfähigkeit einen Schub gibt und im Hochleistungssport sogar alternativlos ist.
Ferner beobachte ich Läufer, die bei den ersten Anzeichen des biologisch bedingten Leistungsrückgangs (ab zirka 30 Lebensjahren) viel konzentrierter und qualitativ wie quantitativ besser trainieren, um besagtem Rückgang entgegenzuwirken. Oft mit Erfolg. Der Anreiz in jüngeren Jahren die Leistungsfähigkeit optimal auszuschöpfen wird hingegen weniger realisiert. Frei nach dem Motto: "Quälen kann ich mich auch im nächsten Jahr - ich bin ja noch jung".
3. Rückschaufehler
Im Rückblick scheint das Eintreffen eines Ereignisses x oft als das wahrscheinlichste aller möglichen Szenarien. Dobelli nennt als Beispiel die rosigen, weltweiten Wirtschaftsprognosen aus dem Jahr 2007. Nach Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise hatten dieselben Experten die zwingendsten Erklärungen für das Eintreffen des Desasters - also dem Gegenteil. Der Satz "Ich hab's doch schon immer gewusst" beschreibt das Phänomen treffend.
Auch der Wettkampfläufer kann dem Rückschaufehler auf dem Leim gehen: Wird die angestrebte Bestzeit in einer Saison verfehlt - obwohl es im Trainingsverlauf keine Anzeichen dafür gab - , lassen sich im Rückblick doch gute Gründe für das Verfehlen der Zielstellung finden (zu geringer Trainingsaufwand, zu wenige Wettkämpfe, zu kurze Regenerationszeiten, Stress und, und, und...). Inwieweit jene Faktoren tatsächlich einen Beitrag zum schlechten Ergebnis leisten, ist nur mit viel Mühe und Erfahrung zu ergründen - besonders im Amateur-Leistungssport. Ein vollständig und ehrlich geführtes Trainingstagebuch wird sich bei der Fehlersuche als große Hilfe erweisen.
4. Self-Serving Bias
Das zuletzt genannte Beispiel gibt schon einen Hinweis auf die menschliche Neigung, Erfolge sich selbst, Misserfolge hingegen externen und weniger zu beeinflussenden Faktoren zuzuschreiben.
Der erste Platz in einem Wettkampf ist oft das Resultat des eigenen Trainingsfleißes, des Kampfgeistes oder taktischen Geschicks, die Aufgabe in einem Rennen wird hingegen dem schlechten Wetterbedingungen, dem viel zu süssen Tee oder der schlechten Trainingsplanung des Trainers zugeschrieben.
Die Wahrheit hält natürlich beide Faktorkategorien in den Händen. Deshalb kommen oft diejenigen Sportler weiter, die ehrlich zu sich selbst sind und Kritik am Verhalten in Training und Wettkampf einfordern, annehmen und für die Zukunft berücksichtigen.
5. Kognitive Dissonanz
In manchen Situationen tut es der Seele gut sich selbst zu belügen: Reiner hat sich einen sündhaft teuren Herzfrequenzmesser gekauft, um das Training besser aussteuern zu können. Leider funktioniert er nicht einwandfrei, weil das Gerät oft unrealistische oder gar keine Herzfrequenzwerte aufzeichnet. Zu seinem Unglück ist die Umtauschfrist schon lange abgelaufen.
Das Gerät erfüllt damit nicht seinen eigentlichen Zweck (Trainingssteuerung). Reiner kann in dreifacher Weise vorgehen, um den Widerspruch aufzulösen: 1. ihm gelingt es den Herzfrequenzmesser doch noch umzutauschen (Kulanz des Herstellers), 2. er gesteht sich ein, dass das Gerät reif für den Mülleimer ist oder er versucht es zu verkaufen und 3. er behält es doch und interpretiert den Nutzen des Gerätes nachträglich um.
Im letzten Fall spricht man vom der Auflösung einer kognitiven Dissonanz. Er könnte argumentieren, dass ein gelegentlicher Ausfall der Messfunktion dem "Laufen nach Gefühl" zuträglich ist, um nicht Sklave der Pulsuhr zu werden. Profis würden das ja schließlich auch umsetzen. Obwohl er mit dem Gerät sein ursprüngliches Ziel nicht erreicht, schreibt er ihm rückwirkend eine andere nutzenstiftende Funktion zu.
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