Donnerstag, 17. Mai 2012

Aus dem Dickicht des Trainings-Dschungels: 30-20-10. Klingt gut, aber was bringt's?

Es gibt Neuigkeiten aus dem Strauchwerk der Trainingswissenschaft: Nach Billats 30:30dem 4-min Tabata-Intervalltraining oder Yassos 800s haben, im aktuellen Fall Wissenschaftler der Universität Kopenhagen, eine neue, plakative Trainingskonfiguration kreiert und überprüft, die bombastische Leistungsverbesserungen bei nur minimalem Zeiteinsatz verspricht. Der geheimnisvolle Name: 30-20-10.

Leicht zu merken, gut zu verkaufen - doch was steckt dahinter? Nichts anderes als eine Variante des intensiven Intervalltrainings. Die praktische Umsetzung ist schnell beschrieben: Nach einer kurzen Aufwärmphase (hier gut 1 km) folgt  ein erster Trababschnitt über 30 Sekunden mit ca. 30% der maximalen Laufgeschwindigkeit. Das ist zu schaffen.

Nun folgt ein Abschnitt über 20 Sekunden, der mit etwa 60% der maximalen Laufgeschwindigkeit absolviert wird. Das entspricht in etwa einem mittelschnellen Dauerlauftempo. Die nächsten 10 Sekunden werden im submaximalen Sprint (> 90% vmax) absolviert. Der Zyklus wiederholt sich bis ein Gesamtvolumen von 3 Minuten absolviert wurde.

Jetzt folgt eine 2-minütige Serienpause im Trabtempo. Die nächste Serie wird jetzt kontinuierlich über 4 Minuten hinweg, nach dem gleichen Schema, gefüllt. Nach weiteren 2 Minuten Serienpause folgt der letzte Trainingsabschnitt über 5 Minuten.

In der Kopenhagener Studie absolvierten 3 durchschnittlich bis gut trainierte Frauen und 7 Männer (im Durchschnitt 34 Jahre alt, 30-40 Laufkilometer/Woche, Bestzeiten über 5 km im Bereich 20-23 Minuten) jenes Training über 7 Wochen hinweg und das 3x wöchentlich. Die Trainingswoche bestand ausschließlich aus dem 30-20-10 Intervalltraining. Dadurch reduzierte sich das Trainingsvolumen um über 50 %, auf 15 bis 20 Wochenkilometer. Die Kontrollgruppe (3 Frauen, 5 Männer) setzte zeitgleich die normale Trainingsroutine, überwiegend bestehend aus Dauerläufen, fort (ca. 30 bis 40 Wochenkilometer).

Im Endeffekt führte das Intervalltraining zu einer Anhebung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) um zirka 4 Prozent, währenddessen sich die Kontrollgruppe nicht verbesserte. Die Laufzeiten über 5 km konnten um 6 Prozent gesteigert werden. In der Studie entspricht das im Mittel 48 Sekunden. Die 23-Minuten-LäuferInnen stießen folglich in den niedrigen 22-Minuten-Bereich vor. In Anbetracht des Trainingszeitraums und Trainingsvolumens ist das ein bemerkenswertes Ergebnis. Das Enzymprofil des Energiestoffwechsels blieb unverändert.

Was können wir nun aus der Studie mitnehmen? Nur noch 30-20-10s laufen? Und damit das Trainingsvolumen drastisch reduzieren und trotzdem sicher auf eine neue Bestzeit zusteuern? Bestimmt nicht. Zumindest bestimmt nicht auf Dauer.

Denn das Studienergebnis resultiert nicht aus der Trainingsintervention allein. Schließlich hat die Testgruppe im Vorfeld, im klassischen Stil "Kilometer gesammelt". Auf diese erarbeitete Basis (= Grundlagentraining) wurden, in profaner Manier und über einen begrenzten Zeitraum, Intensitätsspitzen gesetzt, die die neuromuskuläre Koordination und das Herz-Kreislaufsystem auf ungewohnte Weise stimuliert haben.

Würde die Studie weitere 7 Wochen fortgeführt werden, würde sich die positive Leistungsentwicklung sicher nicht, auf diesem Niveau, fortschreiben lassen. Das aerobe Energiestoffwechsel-System wird auf lange Sicht nicht ausreichend stimuliert. Zudem stellt sich über dieses Vorgehen abermals eine Reizmonotonie ein, die gerade durch die Implementierung des Intervalltrainings durchbrochen wurde.

Auch ist fragwürdig, ob diese Trainingskonfiguration, den eingangs erwähnten Methoden überlegen ist, die bekanntlich ein ähnliches Trainingsziel verfolgen. Zudem könnten alternative Varianten des Trainingsansatzes ebenso gut, oder noch besser funktionieren. Wobei zu bedenken ist, dass jene hochintensiven Ansätze nicht willkürlich gestaltet sind.

Denn sie haben allesamt das Ziel, einen größtmöglichen Zeitraum im Bereich der maximalen Sauerstoffaufnahme, genauer genommen der niedrigsten Geschwindigkeit bei Erreichen der maximalen Sauerstoffaufnahme (vVO2max) zu trainieren (ausgenommen Yassos 800s). Im Post zu "Billats 30:30" habe ich den zugrundeliegenden Gedankengang beschrieben, der die Gestaltung der Konfiguration einschränkt:
"Um die vVO2max systematisch zu erhöhen, hat die Französische Professorin und Leistungsphysiologin Veronique Billat, einen Trainingsansatz ersonnen (und experimentell überprüft), der ein möglichst langes Laufen im vVO2max-Bereich ermöglicht - und diese nach mehrfacher Reizwiederholung steigert. 
Das Ergebnis beruht auf der Beobachtung, dass der Sauerstoffverbrauch trotz deutlicher Geschwindigkeitsreduzierung (nach Erreichen der vVO2max) für weitere 15-20 Sekunden auf dem Sauerstoffaufnahme-Maximum verharrt. 
Voraussetzung für ein maximal langes Training im Bereich der vVO2max: Zum einen darf die Trainingsgeschwindigkeit nicht darüber liegen und zu lang absolviert werden (der hohe pH-Wert-Anstieg würde schnell zu Ermüdung und Belastungsabbruch führen),zum anderen dürfen die Wiederholungspausen nur so kurz ausfallen, dass der maximale Sauerstoffverbrauch nur geringfügig abfällt."
Grundsätzlich wäre eine Vergleichsstudie verschiedener hochintensiver Trainingsformen elegant und wünschenswert. Solche scheitern jedoch oft mangels Teilnehmerverfügbarkeit auf homogenen Leistungsniveau und mit ähnlicher Trainingshistorie. Schon die vorgestellte Studie überzeugt nicht mit einer beeindruckenden Teilnehmerzahl. Noch schwieriger wäre es, wenn Leistungssportler mit 5 km-Bestzeiten unter 16 Minuten untersucht werden sollten.

Nichtsdestotrotz halte ich die Erforschung von solchen Trainingsinterventionen für sinnvoll. Sie stellen zweifelsohne eine Alternative für Freizeitsportler mit geringem Zeitbudget dar und bieten die Möglichkeit der Belastungsmonotonie zu entkommen. Beide Aspekte sind auch für überdurchschnittlich ambitionierte LäuferInnen von Bedeutung. Die Methoden ersetzen allerdings nicht das Erledigen der "aeroben Hausaufgaben".

Clever in den Trainingsplan eingebettete, hochintensive Trainingsabschnitte können besonders für diejenigen wirksam sein, die ein Leistungsplateau erreicht haben. Aber wie immer gilt: die Dosis macht das Gift. Wie sieht es bei Euch aus? Habt Ihr schon ähnliche Trainingsformen systematisch in das Langstreckenlauf-Training eingebunden (5 km bis Marathon)? Wie waren Eure Erfahrungen bis dato?

5 Kommentare :

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. Hallo Patrick,

    Super beschriebene Trainingseinheit. In der aktuellen Runnersworld September 2012 S.58 kommt die Trainingseinheit auch vor :) Werde diese auf jeden Fall ausprobieren wollen.

    Kann man diese während der Regenerationswochen durchführen oder ist es kontraproduktiv??

    Vladislav

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  3. Hallo Vladislav,

    die Einheit kann bedenkenlos in eine Regenerationswoche eingebettet werden. Allein deshalb, um die neuromuskuläre Koordination zu schulen. Für dieses Trainingsziel gibt es auch Alternativen, bspw. 10 bis 15 Steigerungsläufe über 100 m, die innerhalb eines ruhigen Dauerlaufs absolviert werden. Zu Bedenken ist lediglich, dass die Trainingswoche in der Gesamtheit einen regenerativen Charakter aufweist - was nicht mit Belastungsmonotonie gleichzusetzen ist.

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  4. Die Reihenfolge der Intervallstufen wird genau umgekehrt beschrieben:
    http://news.ku.dk/all_news/2012/2012.5/new_research_shows_runners_can_improve_health_and_performance_with_less_training/

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  5. Das Training wird lediglich andersherum betitelt. Die Durchführung bleibt davon unberührt.

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